Auf der Suche nach dem Authentischen

 

Das Wahre und Unverfälschte kennenlernen - wie könnten wir das besser erreichen als wenn wir in andere Regionen oder Länder und ihre Kulturen eintauchen? Die Sehnsucht nach authentischen Erlebnissen und ursprünglichen kulturellen Artefakten steht oft am Anfang einer Reise. In diesem Artikel wollen wir einen kurzen Einblick in dieses viel diskutierte Feld bieten, da es uns vor Augen führt, wie und warum wir spezielle Elemente einer Kultur wahrnehmen. Außerdem ist Authentizität ein Element, das Destinationen bei ihrer Darstellung nach außen gerne einsetzen.

 

Was das Authentische nun tatsächlich ist, ist ein Dilemma in sich. Es beschreibt einen ursprünglichen und wahrhaftigen Zustand, der aber nicht fix definiert ist und von den Betrachtern selbst als solcher wahrgenommen und Dingen, Personen, kulturellen Praktiken, Entscheidungen etc. zugeschrieben wird. Es ist die Kohärenz zwischen dem, was das Objekt oder die Person nach außen darstellt, und dem, was sie innerlich ist. Oder anders gesagt: Die Wahrnehmung des als authentisch Bewerteten stimmt mit dem Wissen darüber überein. (vgl. KRÄMER, S. 25f)

 

Erwartung vs. Wahrnehmung

Bezogen auf den Tourismus werden besonders die Eigenheiten der bereisten Kulturen und dabei ihre Brauchtümer, Artefakte und auch Lebensweisen und Einstellungen bewertet, wenn sich die Frage nach dem Authentischen stellt. Die Zuschreibung dieser Eigenheiten und ihre Romantisierung kann man in der Sehnsucht der postmodernen (westlich geprägten) Gesellschaft nach einem spirituellen und unentfremdeten Leben sehen. (vgl. OBRECHT, S. 97) Dieses wird Anderswo gesucht und romantisiert, sei es in anderen Epochen (z.B. Zunahme der Bedeutung von Nostalgie), anderen Kulturen (z.B. Reisen) oder einfacheren Lebensstilen (z.B. Trends in Richtung Minimalismus). Die Erwartungen an das Anderswo werden zum einen durch die persönlichen Bedürfnisse beeinflusst und zum anderen durch das Image dieser Gegenwelt, das uns über diverse Medien, Impressionen Erfahrungsberichte vermittelt wird. Was in der direkten Konfrontation dann tatsächlich wahrgenommen wird – und am Ende dann als authentisch oder nicht bewertet wird – ist höchst selektiv und individuell (siehe auch: The Tourist Gaze – John URRY).

  

Was ist denn nun authentisch?

Einige Kriterien für die Bewertung des Authentischen wurden dennoch festgesetzt, z.B. für den Denkmalschutz der UNESCO:

           * Form und Design

           * Materialien und Substanzen

           * Verwendung und Funktion

           * Traditionen und Techniken

           * Platzierung  und Einbettung

           * Spiritualität und Gefühl

           * interne und externe Faktoren  (vgl. FALSER, S. 69)

  

Es wird hier ersichtlich, dass Authentizität einerseits objektbezogen wahrgenommen wird, andererseits auch auf einer individuellen Ebene, was als existenzielle Authentizität beschrieben wird. Während sich die objektbezogene Deutung der Authentizität auf die ästhetischen Besonderheiten von Bauwerken, Artefakten u. ä. und deren Konsum bezieht, steht bei einer existenziellen Deutung die persönliche Einbeziehung der Besucher in den Alltag und die individuellen Erlebnisse im Vordergrund. 

 

Das Authentische als touristisches Element

Nun werden gerade im Tourismus diese kulturellen Besonderheiten für Touristen konsumierbar gemacht und dienen unter anderem als Anreiz für die Reise. Daher werden sie auch außerhalb der traditionellen Rahmenbedingungen produziert, sei es, indem Feste und Rituale eigens für Touristen aufgeführt werden, sei es, indem traditionelles Handwerk vorwiegend dem touristischen Vertrieb dient.  Ist dann das, was der Reisende erlebt, nur noch ein Pseudo-Event, oder gar nur noch ein Bühnenspiel einer so nicht existierenden Realität (Front- und Backstage) (vgl. MACCANNEL, in COHEN, S. 378)? Womit sich die Frage stellt, ob Touristen tatsächlich Authentisches erleben können.

 

Diese Überlegungen stammen teils aus einer Zeit, in denen die Digitalisierung geringere Bedeutung eingenommen hat als in einer Zeit des ständigen Informationszugangs. Mit diesen Entwicklungen ist das Bewusstsein verknüpft, dass viele Faktoren das Bild einer Region, Kultur oder Destination beeinflussen - zum Teil durchaus gewollt, weil Marketing und Tourismuswerbung genau diese Aspekte aufgreifen und sie in ihrem Sinne weiterkommunizieren.

 

Authentizität kann unter diesem Licht betrachtet als ein Element des touristischen Angebots werden. Sie kann etwa über Cultural Branding oder Storytelling eingebunden werden und die einzelnen Elemente der einheimischen Kultur (z.B. Architektur mit landesüblichen Stilelementen, Bauformen und Materialien, Handwerkskunst, Esskultur, Gerichte und Spezialitäten) wie auch ihr Zusammenspiel können zu einem Pull-Faktor und Alleinstellungsmerkmal werden. Dabei ist zu beachten, dass die so vermittelten Erwartungen sich auch im vor Ort Wahrgenommenen widerspiegeln. Oft ist das eine Gratwanderung: Zum einen sollen im Idealfall die positiven Erwartungen der Besucher erfüllt werden, zum anderen darf das, was als Authentisch verkauft wird, nicht im Widerspruch mit dem Eigenbild der dort lebenden Gesellschaft stehen. (vgl. KRIPPENDORF, S. 196)

 

Ist Tourismus Zerstörer oder Erhalter des Authentischen?

Werden definierende Elemente einer Kultur dazu gebraucht, in abgeschwächter oder veränderter Form einen finanziellen Nutzen zu erzeugen, besteht die Gefahr der Verfälschung und der Loslösung der scheinbar typischen Elemente aus ihren Sinnzusammenhängen. Kunsthandwerk wird zu Kitsch und Rituale und Bräuche zu Aufführungen und damit wird die kulturelle Identität der bereisten Bevölkerung trivialisiert und ausverkauft, bis sie nicht mehr gelebt wird. (vgl. COHEN, S. 382ff)

 

Dieses Worst-Case Szenario ist leider in viel zu vielen Fällen eingetreten, was für sämtliche Akteure im Tourismus als Mahnung dienen soll, sensibel mit den typischen und identitätsstiftenden Elementen einer Destination umzugehen. Gelingt dies, kann das Aufgreifen des Authentischen für die touristische Nutzung genau diese erhalten: Kulturdenkmäler, Handwerk und Traditionen leben weiter und dienen weiterhin als Einkommensquelle und identitätsstiftende Grundlagen. In der globalisierten und vernetzten Welt wird auch die Besinnung auf das Besondere wieder stärker fokussiert, aber im Spannungsfeld mit anderen Philosophien und Kulturen vielleicht auch anders interpretiert und hinterfragt.

Wichtig ist es uns hier noch zu erwähnen, dass Authentizität nicht im Gegensatz zur gesellschaftlichen Entwicklung oder Modernisierung verstanden werden soll. (TRUPP, TRUPP, S.17) Kultur darf sich verändern und entwickeln und kann neue typische Elemente entwickeln oder alte neu interpretieren. Entscheidend ist, dass jene Elemente, die nach außen als authentische kommuniziert werden, aus dem kulturellen Umfeld wachsen können und dort eine Bedeutung haben.

 

Kann Authentizität einen Beitrag zur Nachhaltigkeit im Tourismus bringen?

Das Hinterfragen der kulturellen Praktiken kann sowohl bei der Bevölkerung in der Destination wie auch bei den Besuchern geschehen und stärkt so beiderseits das Bewusstsein der lokalen Eigenheiten, die die Destination in ihren Besonderheiten für den Tourismus interessant machen. Kulturlandschaft, regionale Produkte, Kulturdenkmäler und Bauwerke werden erhalten und gepflegt oder nicht selten einer neuen Nutzung zugeführt. Bei vergleichsweise geringen Eingriffen in die natürliche Umgebung der Destination ist es möglich, eine Lebensgrundlage zu erhalten und gleichzeitig lokale oder regionale Identität zu stärken. Und Menschen, die in ihrer Identität gefestigt sind, wirken wiederum authentisch.


Literaturverzeichnis:

Cohen, E. (1984): The Sociology of Tourism: Approaches, Issues, and Findings. Annual Review of Sociology, Vol 10, S. 373-392.

Falser, M. (2012): Von der Charta von Venedig 1964 zum Nara Document on Authenticity 1994. 30 Jahre „Authentizität" in Namen des kulturellen Erbes der Welt. In: Michael Rössner und Heidemarie Uhl (Hg.): Renaissance der Authentizität? Über die neue Sehnsucht nach dem Ursprünglichen. Bielefeld: transcript, S. 63–88.

Krämer, S. (2012): Zum Paradoxon von Zeugenschaft im Spannungsfeld von Personalität und Depersonalisierung. Ein Kommentar über Authentizität in fünf Thesen. In: Michael Rössner und Heidemarie Uhl (Hg.): Renaissance der Authentizität? Über die neue Sehnsucht nach dem Ursprünglichen. Bielefeld: transcript, S. 15–26.

Krippendorf, Jost (1986): Die Ferienmenschen. Für ein neues Verständnis von Freizeit und Reisen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

MacCannell, D. (1973): Staged authenticity: Arrangements of social space in tourist settings. American Journal of Sociology, Vol 79(3), S. 589-603.

Obrecht, A. (2006): Ethnotourismus – und die Suche nach dem „Authentischen“ in den Kulturen. In: Baumhackl, H., Habinger, G., Kolland, F., Luger, K. (Hg.): Tourismus in der „Dritten Welt“. Zur Diskussion einer Entwicklungsperspektive. Wien: Promedia Verlag & Südwind, S. 76-98.

Trupp, A., Trupp C. (2009): Zur Einführung: Ethnotourismus und die Konstruktion von Authentizität. In: Trupp, C., Trupp, A.(Hg.): Ethnotourismus. Interkulturelle Begegnung auf Augenhöhe? Wien: Mandelbaum Verlag, S. 7-20.

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